Die Hände umschlingen das Bierglas. Er dreht die Stange Panaché von links nach rechts – und wieder zurück. Der Blick geht nach unten. Beat Zimmermann wirkt für einmal nicht mehr fröhlich, sondern nachdenklich. «Der grösste Fehler in meinem Leben war, dass ich nie eine Lehre gemacht habe», sagt er. Der 75-Jährige sitzt im «Sternen» in Wohlen und spricht über sein bewegtes Leben. Ein Leben, das er seit zwanzig Jahren grösstenteils in Frauenkleidern führt und ihm den Übernamen «Beatrice» eingebracht hat.

Beat Zimmermann

Ein Inserat bringt die Liebe

Als drittes von sieben Kindern wird er 1944 geboren. Auf dem «Hofohr» in Eggenwil wächst er als Bauernsohn auf. In Zufikon besucht er die Bürgerschule. Und macht danach keine weitere Ausbildung. «Ich war ein Schlitzohr, ein Lausbub, hatte nur Flausen im Kopf», sagt er lachend. Trotzdem war er ein fleissiger «Chrampfer». Auf dem elterlichen Hof hilft er mit und hat viele Aushilfsjobs. Bei der Firma Schaufelbühl in Bremgarten geht er auf Montage in der ganzen Schweiz, bei der Gärtnerei Donat AG in Wohlen ist er Hilfsarbeiter auf dem Friedhof, beim Biene-Meier in Künten ist er in der Honigproduktion tätig und in einem Unternehmen im Kanton Zürich versucht er sich als Möbelpacker. «Ich habe nie geschlafen im Leben», meint er.
Durch ein Inserat in der Bauernzeitung findet er die grosse Liebe. Sie heisst Theres, kommt aus dem luzernischen Ebikon. 1974 heiraten sie. Sie zeugen vier Söhne und eine Tochter. Vor sieben Jahren stirbt sie. Das Leben zieht ihm den Boden unter den Füssen weg. Und fortan geht Beat Zimmermann allein durchs Leben. Weil er gerne Frauenkleider trägt, wendet sich sein Umfeld von ihm ab. «Mit meinen Kindern und meinen Geschwistern habe ich keinen Streit – aber auch keinen Kontakt. Es gibt niemanden, der zu mir steht», sagt er nachdenklich.

Seine Frau, seine Eltern und Schwiegereltern akzeptierten ihn so, wie er ist. Doch sie sind mittlerweile alle gestorben. Geschwister, Kinder, Freunde und Bekannte, sie wollen mit Beat Zimmermann nicht mehr viel zu tun haben. Mit ruhiger Stimme sagt er: «Es wird wohl mein Fehler sein, dass ich heute allein bin.» Er kriegt öfter Sprüche zu hören, wenn er in Rock und High Heels herumspaziert. «Da werde ich nicht mehr sauer, ich höre gar nicht hin.» Und an den Spitznamen «Beatrice» habe er sich mittlerweile gewöhnt. Mehr noch. «Beatrice höre ich gern.»

Die Frau bringt ihn zur besonderen Vorliebe

Alles ist irgendwie verfahren und kompliziert. Dabei soll doch das Leben locker, farbig und anders sein – genauso wie sein Erscheinungsbild. Seine Vorliebe zu Röcken, Blusen und High Heels entdeckt er durch seine Frau. Begonnen hat dies ganz harmlos, an der Fasnacht im Freiamt. «Theres mochte hübsche Frauen. Und sie hat mich auch gern in Frauenkleidern gesehen.» Immer mehr beginnt Zimmermann auch privat Frauenkleider anzuziehen. Als «Plausch» fängt es an. Er kauft sich schöne Oberteile, Schuhe und Röcke per Post, ausgesucht aus dem Modekatalog. Heute – über 20 Jahre später – meint er: «Ich bin es gewohnt, so herumzulaufen. Ich bin einfach so. Ich gehe meinen Weg. Es ist meine Leidenschaft. Mir passt es einfach und ich fühle mich wohl in Frauenklamotten.» Er habe kaum Geld ausgegeben, ausser für Frauenkleider. Heutzutage kauft er keine neuen Sachen. «Ich bin zu alt für neue Mode», sagt er und kichert wie ein junges Fräulein.
Das Treffen mit Beat Zimmermann findet im «Sternen» in Wohlen statt. Hier ist und isst er gerne. Ein Stammgast. Wirtin Rita Seiler kennt ihn schon über zehn Jahre. Ihre Meinung zu diesem besonderen Mann in Frauenkleidern ist nur positiv. «Er ist ein Guter», erzählt Rita Seiler. Auf den ersten Blick könne man meinen, er sei ein «Halbschuh», wie sie sagt. «Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Mit Beat kann man super Gespräche führen, er weiss enorm viel, ist ein Mensch, der viel Liebe hat für Mensch und Tier. Ein geduldiger Typ, der niemals flucht und immer positiv ist.»

Diese Erfahrung machte auch das Duo «Hoffnung + Kiwi», das im Sommer 2019 Ferien in Wohlen machte und mit seinen Erfahrungen ein Bühnenprogramm im Sternensaal aufführte. Das Duo lernte Zimmermann im «Sternen» kennen und dieser nahm die beiden mit zum Erdmannlistein – quer durchs Fahrverbot. Ein herrlicher Mensch, so ihr Urteil über den 75-jährigen Grossvater, der mitten in der freiämterischen Provinz in Frauenkleidern herumrennt. Beat Zimmermann muss laut lachen, wenn er an diese lustige Begegnung zurückdenkt.

Ein bisschen wie ein Einsiedler

Doch das Leben ist nicht nur lustig. Weil er sich nicht anpasste, musste er vieles einstecken. «Man ist nicht immer der Held im Leben. Aber man muss für seine Fehler einstehen, ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Und sowieso, ich kann und will mich nicht verbiegen.» Mit dieser Einstellung geht er zufrieden durchs Leben, «meistens jedenfalls», wie er anfügt.
In seinem alten Toyota macht der pensionierte Mann Ausflüge auf den Hasenberg, an den Egelsee oder an die Reuss. «Ich bin gut zu Fuss und gerne in der Natur.» Oft ist er allein unterwegs. Seine besondere Vorliebe hat ihn zu einem einsamen Wolf gemacht. «Ich lebe ein bisschen wie ein Einsiedler», meint er lachend. Aber: «Ich jammere nicht. Ich lasse die Menschen in Ruhe und erwarte eigentlich nur dasselbe.» Doch diese Toleranz gibt es nicht immer. Es wäre vieles einfacher, wenn er wieder Jacke, Jeanshose und Arbeiterstiefel tragen und den Rock, die Bluse und die High Heels im Schrank verstauen würde. Das weiss Beat Zimmermann. «Sich in diesem Alter noch zu ändern, bringt nichts. Ich bin eben nicht zu 100 Prozent ein Mann. Ich habe nun mal weibliche Züge und habe diese irgendwann akzeptiert.»

«Ich will einfach so sein, wie ich bin»

Ihm ist es egal, was andere denken. Durch die grosse Lebenserfahrung sei er geduldig und verständnisvoll geworden. Er ist so, wie er eben ist. Wenn man ihn im Sternen in Wohlen, im «Kreuz» in Bremgarten oder in der Freiämter Natur sieht, würde ihm ein freundliches Lächeln genügen, um seinen Tag zu erleuchten. «Ich will niemanden verärgern, indem ich Frauenkleider trage. Ich will einfach so sein, wie ich bin.»