19 Jahre ist es her, dass Andy Hug starb. Sein Sohn Seya lebt den Weg des «blauäugigen Samurai» weiter – in Los Angeles. Er hat denselben Traum wie sein Vater. Seya will Schauspieler werden. Mutter Ilona staunt über die Parallelen von Vater und Sohn.
Er ist nicht tot. «De Papi», er ist immer noch da. Sohn Seya nimmt sein Handy aus der Jeans. Als Bildschirmschoner erstrahlt ein Bild des «Tetsujin», zu Deutsch «Iron Man». Ein Foto von Andy Hug zu seinen besten Zeiten. Muskelbepackter Oberkörper, der Schnurrbart als Markenzeichen in einem selbstsicheren Gesicht, das ausdrückt: «Mich kann niemand stoppen.» Sein Sohn Seya blickt auf den Bildschirm. «Papi war der Wahnsinn.» Er steckt das Smartphone zurück in die Hosentasche. Seya schaut zu seiner Mutter Ilona. Ihr Blick verrät, wie stolz sie auf ihren Sohn ist.
Die Bedenken des Umfeldes
Die beiden sitzen auf der Terrasse des Restaurants «Salt» in Marina
del Rey, gleich neben dem Venice Beach in Los Angeles, USA. In der
schwarzen Sonnenbrille der Mutter spiegeln sich die Segelmasten des
nahe liegenden Hafens, der Anlegeplätze für 5300 Boote hat. Hier
hält sich die «High Society» auf, Schauspieler, Geschäftsleute,
Reiche und Schöne.
Ilona Hug zieht schwungvoll die Sonnenbrille aus ihrem Gesicht. «Aus
unserem Umfeld bekam ich einiges an Bedenken zu hören», sagt sie.
Die Gegenstimmen kamen, als Freunde und Familie vom Entscheid
hörten, wie Sohn Seya seinen Lebensunterhalt verdienen will.
«Schauspieler zu sein, ist kein normaler Job. Man weiss nicht, ob
man es schafft und irgendwann davon leben kann», meint die Mutter.
Seya schaut nach unten, seine Backen ziehen sich zusammen, werden
rund, in seinen Mundwinkeln erscheinen kleine Falten. Es ist
dasselbe Lächeln zu sehen, wie es sein Vater Andy jeweils hatte. Es
bedeutet: «Ich schaffe das sowieso.»
Schon als Kind kommt Seya Hug immer wieder nach Los Angeles. An
einer internationalen Schule geniesst er früh eine gute Ausbildung.
Daher auch sein akzentfreies Englisch. Der Lebensmittelpunkt war
lange die Schweiz, die Familie lebte in Horw, bis er 2013 definitiv
nach Los Angeles zog. Mit damals 18 Jahren studierte er Wirtschaft
und Film an der «Loyola Marymount University».
Mutter war die Kupplerin bei der «grossen Liebe»
Er vermisst den Luzerner Rahmkäse, Bündnerfleisch und seine Liebsten
in der Schweiz – doch er verliebt sich endgültig in die Stadt der
Engel. Wirtschaft studieren und später ein «Bänkler» sein? Das will
er jedoch nicht. Nach zwei Jahren verlässt er die Universität und
das Studium. Seya will Schauspieler werden. Er absolviert die
zweijährige Ausbildung an der «Lee Strasberg»-Schauspielschule in
Hollywood und nimmt Privatunterricht bei Coaches. Die Mutter
unterstützt ihn. Finanziell, aber vor allem mental.
In dieser Zeit lernt er Taylor kennen, die «Liebe seines Lebens»,
wie Seya sagt. Mutter Ilona spielt den «Matchmaker», die Kupplerin.
«Ich kannte Taylors Bruder und wir beide fanden, dass sie sich
kennenlernen sollten», so Ilona. Ein Date wird vereinbart. Taylor,
die Innenarchitektin aus Texas, die Schränke und Zimmer für grosse
Stars kreiert, und Seya, der angehende Schauspieler und Sohn der
Kampfsportlegende aus Wohlen, sie verliebten sich über alle vier
Ohren. Und sie heirateten ein Jahr später, 2016, am Samstag, 13.
August, dem Hochzeitsdatum von Andy und Ilona Hug. Seya ist damals
21 Jahre jung. «Ich wusste, Taylor ist die eine und Richtige. Wenn
man die richtige Frau gefunden hat, spielt das Alter keine Rolle.»
Manchmal «piekst» ihn Andy
Dasselbe hat wohl auch Andy Hug gesagt, als er sich in den
90er-Jahren während eines Fotoshootings unsterblich in eine hübsche
Blondine verliebte. Ihr Name: Ilona. Sie heirateten. An einem 13.
August. Sie bekamen ein Kind am 19. November 1994. Seya ist sein
Name. Augen, Nase, Stirn, die Herzlichkeit, das Lachen, diese Dinge
hat er von der Mutter. Von seinem berühmten Vater hat Seya
Bescheidenheit, Power, Ehrgeiz – und den Körperbau. «Hände, Füsse,
Beine, Oberkörper, vieles an Seya hat er extrem von seinem Vater
geerbt», meint Mama Ilona. Seit dem Jahr 2000 ist sie Witwe, ihr
Mann starb an akuter Leukämie. «De Andy», er ist immer noch da. Seya
spürt ihn. Manchmal «piekst» er ihn, um ihn auf die richtige Spur zu
bringen, wie er sagt.
Die richtige Spur. Seya scheint diese gefunden zu haben, um seinen
Traum vom Schauspieler zu erfüllen. Er ergattert sich Kurzauftritte
in den Filmen «Lucky Girl» (2015) und «Walk of Fame» (2017). Im
letzten Jahr folgt die erste Hauptrolle. «Shiner» heisst der Film.
Er spielt Matt, den Kampfsportler, der von einer Weltkarriere
träumt. Wie passend, denn Vater Andy Hug schafft diese Film-Story im
wahren Leben – aus dem kleinen Wohlen stammend wird er ein
Kampfsport-Star, gefeiert in vielen Teilen der Welt.
31 Tage lang steht Seya Hug für «Shiner» vor der Kamera. Nach dem
ersten Drehtag ist er total euphorisch: «Mama. Ich will nie mehr
etwas anderes machen.» Für Ilona Hug ist dies ein ergreifender
Moment. «Ich wusste, ich habe alles richtig gemacht. Die Leute, die
zweifelten, hatten unrecht. Denn das Wichtigste im Leben ist, seinen
Traum zu leben.» Das habe Andy Hug schon immer gesagt.
Eigene Bar eröffnet
So geht Seya nun fleissig und geduldig seinen Weg. Sein Alltag: Er
steht um 6 Uhr morgens auf, erledigt Dinge, die anstehen, nimmt
Schauspielunterricht, meldet sich für Castings an. Vor dem
Mittagessen geht er ins Ju-Jitsu- oder Muay-Thai-Training. Seya ist
ein grosser Kampfsportfan. Ehrensache als Sohn einer Legende. Er hat
den Schwarzgurt im Taw Kwon Do und viele Kampfsportarten schon mal
ausgeübt. Die Nachmittage gestaltet er je nach Bedarf. Sport, Lesen,
Vorsprechtermine. Abends geht es oft in die Bar. In seine Bar.
Sie befindet sich in West Hollywood. Im August 2018 hat Seya sie
zusammen mit einem Kumpel eröffnet. «Es läuft super, wir bauen eine
Stammkundschaft auf und wollen bald auch Essen anbieten.» Hinter der
Bar fühlt er sich sowieso wohl. Es ist der beste Platz, um sich ein
Netzwerk zu schaffen. Und Drinks mixen mag er sowieso. Mutter Ilona
hat ihm vor Jahren einen Privatkurs in «Mixologie» – der Kunst des
Drink-Mixens – geschenkt. Nun ist die Bar sein Haupteinkommen, wenn
er gerade keinen Auftrag als Schauspieler hat.
Seya Hug wird gefragt, ob ihn denn die Leute auf der Strasse in Los
Angeles schon erkennen – immerhin hatte er eine Hauptrolle in
«Shiner». Der 24-Jährige lacht. «Nein. Einen Oscar habe ich auch
nicht gekriegt. Aber es war ein guter Start und hoffentlich ein
Sprungbrett.» Auch in der Traumwelt Hollywood muss man sich langsam
hinaufarbeiten. Was folgt als Nächstes? «Eine Rolle in einer Serie,
eine Neben- oder sogar wieder eine Hauptrolle in einem Film, das
wäre genial», sagt Seya. Er kneift die Augen zusammen, weil er durch
die Sonne geblendet wird. Er formt mit seiner flachen Hand einen
Blendschutz über den Augen und meint: «Ich möchte der beste
Schauspieler sein, zu dem ich in der Lage bin.» Auch wenn er noch
nichts verraten darf, aber es sind sich einige Dinge «am
Entwickeln».
Mutter Ilona zieht in einem Wisch ihre Sonnenbrille weg, während
sich ihre blonden Haare kaum bewegen. Sie sagt: «Von den
Film-Leuten, mit denen er bislang arbeitete, heisst es jeweils, er
habe ein riesiges Talent und dass er es schaffen wird als
Schauspieler.» In Seyas Gesicht erscheint wieder dieses
selbstbewusste Lächeln.
Doch wer glaubt, er sei so töricht und habe die Vorstellung, sein
Traum klappe ohne Aufwand, der irrt. Seya Hug, ein sensibler Mann,
er hat auch Bedenken. «Wenn ich zweifle, ist Papi da, er wacht über
mich, er zeigt mir den Weg.» Damals, im August des Jahres 2000, da
«ging alles sehr schnell». Für den 6-jährigen Seya bricht eine Welt
zusammen. «De Papi», er war tot. Weg. Nicht mehr da. «Ich vermisse
ihn. Jeden Tag.» Ohne Vater aufzuwachsen, sei hart gewesen, «doch
Mama übernimmt beide Rollen».
«Am Ende geht irgendwie alles wieder auf»
Ilona Hug. Die Mutter. Die Witwe. Sie kennt die Geschichte von Andy
und von Seya wie niemand sonst. Es ist ein Sonntagmorgen Ende Januar
2019, die Wintersonne wird immer heisser in Los Angeles.
Mittlerweile herrschen auf der Terrasse des Restaurants «Salt» in
Marina del Rey an die 30 Grad. Das mehrstündige Treffen der Hugs und
dem Besuch aus der Schweiz neigt sich dem Ende zu. Ilona Hug
beschreibt zum Schluss einen «Meilenstein», einen Moment, der sie
verblüffte. Für Aussenstehende erscheint es fast gespenstisch, wenn
sie diese Geschichte erzählt.
Andy Hug hegte Jahre vor seinem plötzlichen Tod einige Pläne, um
Schauspieler zu werden. Er nahm bereits Schauspielunterricht und
hatte mehrere Film-Angebote. «Wir planten, nach Los Angeles zu
gehen», sagt Ilona. Dort hätte Andy nach der Kampfsportkarriere
seinen Traum verwirklichen wollen. Doch dazu kam es nicht. Im Jahr
2000 starb Andy Hug. Etwa vier Jahre später schreibt Seya – er war
10 Jahre alt – in sein Tagebuch, dass er Schauspieler werden möchte.
Als Mutter Ilona dies mitbekommt, kann sie es kaum fassen. «Ich habe
ihm nie von den Plänen seines Vaters erzählt», sagt sie – und kriegt
Gänsehaut. Seya muss bei dieser Erzählung lächeln, es ist wieder
dasselbe selbstsichere Lächeln seines Vaters Andy Hug. «Am Ende geht
irgendwie alles wieder auf. Wir sind nicht alleine», meint Ilona.
Dort, wo der Weg von Andy Hug enden musste, dort macht sein Sohn
Seya weiter. «De Papi», er ist immer noch da.