Robin Lütolf gibt immer alles. In der Schule. Im Fussball. Im Leben. Sein Ehrgeiz rettete ihm das Leben. Mit seiner grossen Lebenslust besiegte er den riesigen Tumor in seinem Kopf.

Robin Lütolf betritt das Bezirksschulhaus in Wohlen. Es bildet sich eine Gasse. «Die Mitschüler schauten mich an, als wäre ich ein Ausserirdischer», sagt der 15-Jährige. Es ist der erste Tag zurück in der Schule – nach zwei Operationen an seinem Kopf. Es ist der Moment, den Robin als eine der härtesten Erfahrungen seines Lebens beschreibt. Robin beginnt zu weinen, doch er erzählt weiter: «Die Leute gingen mir aus dem Weg, doch ich stellte mich und erklärte jedem, der mich fragte, was los ist.»

Fünf Tage Chemo, 23 Tage Pause

Er erzählt es auch an diesem regnerischen Juni-Nachmittag. Wortgewandt, ruhig, ehrlich. Robin sitzt auf dem Gartensitzplatz in seinem Zuhause in Waltenschwil. Zuvor musste er Tabletten schlucken. Die Chemotherapie ist noch nicht vollständig abgeschlossen. «Immer fünf Tage Chemo, dann 23 Tage Pause», sagt er. Während den fünf Tagen, an denen er die Tabletten schlucken muss, fühlt sich der junge Mann total ausgepumpt. «Als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ich bin müde, habe keinen Appetit. Aber so ist das halt, da muss ich durch.»

Im Vergleich zum Jahr 2015 geht es ihm heute hervorragend. Seine Leidensgeschichte ist brutal. Und ergreifend zugleich. Der riesige Tumor in seiner linken Gehirnseite war 7 cm lang und 3,5 cm breit. Die Operation folgte. Man wusste nicht, ob nach der Operation Schäden am Sprachzentrum oder an der Motorik bleiben würden. Sein Vater Marco Lütolf beschreibt die Szene, bevor Robin auf dem Spitalbett in den Operationssaal gebracht wurde: «Ich begleitete ihn bis zur Schleuse und schaute ihm nach. Bevor Robin um die Ecke verchwand, ging sein Daumen nach oben und er blinzelte mir zu.»

Die Operation ging gut. «Ich dachte, ich hätte es überstanden», sagt Robin. Er geht mit der Familie in die Ferien. Dann folgt der nächste Schock. Man dachte, der Krebs sei gutartig. Doch das war er nicht. Zudem entdeckte man einen Tumor-Rest. Es gab Ableger. Bösartige Ableger. Eine zweite Operation war nötig. Der Albtraum findet eine Fortsetzung. «Robin war am Boden zerstört. Wir auch. Doch er gab nicht auf und blieb immer positiv.» Auch die zweite Operation verläuft gut. Heute muss Robin alle zwei Monate zur Kontrolle. «Man fand nichts mehr, was nicht in seinen Kopf gehört», sagt Vater Marco Lütolf. «Ich hoffe, es bleibt so und ich habe es endgültig überstanden», so Robin.

Robin

«Die besten Jungs dieser Welt»

Was gab ihm Kraft in dieser beispiellos harten Zeit – mit vielen Höhen undnochmehrTiefen? «Meine Familie», antwortet Robin sofort. Und auch seine Freunde. Dominic Weber und Maurice Dubler heissen sie. «Die besten Jungs dieser Welt. Sie waren immer da und wollten mir eine Freude machen», sagt er.

Kraft gab ihm auch sein Fussballverein. Der FC Villmergen. Robin spielte bei den C-Junioren, war Captain der Mannschaft. Als sie erfuhren, dass Robin mit einem Tumor im Spital ist, besuchten sie ihn: «Die Teamkollegen und Trainer kamen ins Spitalzimmer, brachten mir die Captainbinde mit und sagten: «Du bleibt unser Captain, egal, was passiert.»

Die Menschen im Krankenhaus haben ihm ebenfalls viel Kraft gegeben und ihn stets motiviert. Eine junge Frau, die er damals im Spital kennenlernte, verstarb vor Kurzem. «Das war hart für Robin», erzählt Mutter Gaby Lütolf. «Das Leben ist nicht einfach», sagt Robin mit leiser Stimme.

In der intensiven Phase der Chemotherapie durfte Robin nur wenig machen. Er war ohnehin oft müde. «Dinge, die ich gerne mache, durfte ich nicht mehr tun.» Er schaute Fernsehen, las Bücher. Und auch trotz der schwierigen Zeit wollte Robin das letzte Schuljahr an der Bezirksschule durchziehen. «Sein Ehrgeiz ist unglaublich», sagt Mutter Gaby Lütolf. Er eifert gerne seinem grösseren Bruder Nico nach und will ihn beeindrucken. «Er ist sein absolutes Vorbild», sagt die Mutter.

Am Tag des Gesprächs mit dem Journalisten kriegt Robin die Resultate der Bez-Abschlussprüfung: 5,2. Ein Top-Wert. Robins Meinung dazu: «Es wäre mondestens noch 1/10-tel mehr dringelegen.» Ab einer Note von 5,2 wird man beim Abschlussfest auf die Bühne geholt. Und das war sein Ziel. Während für andere 5,2 eine grandiose Abschlussnote ist, rümpft Robin nur die Nase. «Schade. 5,3 wäre prima gewesen.» – «Typisch Robin», sagen die Eltern zu ihrem ehrgeizigen Sohn.

Einsatz in der ersten Mannschaft

Eine Lehrstelle suchte er im vergangenen Jahr ebenfalls. Und er fand sie ohne grosse Probleme. Am 1. August beginnt er bei der Aargauischen Kantonalbank in Wohlen eine Lehre mit Berufsmatur. Bewundernswert, dass Robin trotz seiner Krankheitsgeschichte die Lehrstelle erhalten hat.

Heute sei er «zurück im Leben». Er spielt wieder sein Lieblingsinstrument, die Trompete. Er kann wieder raus und aktiv sein. Er darf wieder Fussball spielen. Der FC Villmergen überlegte sich eine besondere Aktion. Beim letzten Spiel der ersten Mannschaft wurde Robin ins Kader aufgenommen und durfte auf die Bank. Eine Viertelstunde vor Schluss wird er unter grossem Applaus eingewechselt. «Ein Traum, einmalig», sagt Robin, der in der neuen Saison bei den B-Junioren spielen wird.

Es folgt ein Drama auf der Villmerger Badmatte. Es gibt Penalty. Robin darf ran. «Doch ich habe ihn ver- schossen.» Die Geschichte findet ein Happy End. In der Nachspielzeit wird Robin vor dem Tor angespielt und schiebt souverän zum 4:0-Schlussstand ein. Das ganze Team stürmt auf ihn zu – grenzenloser Jubel. Der FC Villmergen feiert zudem den Aufstieg in die 3. Liga. «Ich konnte es gar nicht richtig glauben» sagt Robin und fügt lächelnd an: «Manchmal läuft etwas schief. Aber dann muss man wieder aufstehen und weitermachen. Dann kommt am Ende alles gut.»