Uneindeutig. Ob in der Musik oder als Mensch. Coco Schwarz passt in keine Schublade. Kein Mann. Keine Frau. Sondern non-binär. «Ich will einfach sein, wie ich bin.» Coco Schwarz hiess früher Samuel Fried und begeistert mit der Pianomusik die Menschen auf der ganzen Welt. Eine Annäherung an ein musikalisches Ausnahmetalent und eine kaum fassbare Person.

Die Jacke pink. Die Haare sonnengelb. Die dunkle Sonnenbrille verdeckt die Augen. Ein freundliches Lachen schmückt das längliche Gesicht. «Hoi. Ich bin Coco.» Ein Tee wird bestellt im «Marco Polo» in Wohlen. «Was möchtest du wissen?», fragt die 39-jährige Coco Schwarz – und beginnt dann eine eindrückliche Lebensgeschichte zu erzählen.

Schon früh sagte man, dieses Kind sei begabt. Gerade mal fünf Jahre alt, spielt es die Tasten auf dem Klavier mit so viel Hingabe und Talent, dass eine wundervolle Melodie ertönt. Die Musik ist fortan Wegbegleiter, Seelentröster und Verarbeitungsmaschine. Dieser Rohdiamant wird geschliffen. Die Künste auf dem Klavier werden immer besser. Der Sieg am Schweizer Jugendmusik-Wettbewerb ist ein wichtiger Moment. «Da wusste ich endgültig, was ich machen will in meinem Leben: Klavier spielen.» Diese Worte sind begleitet von einer fröhlichen Geste. Man spürt und sieht: Für Coco Schwarz ist Klavierspielen mehr als nur Musik. Es ist das Leben.

Nach der Schulzeit in der Halde und im Bünzmatt geht es an die Kantonsschule in Wohlen. Und dieser Sieg am Jugendmusik-Wettbewerb war mehr als nur eine Bestätigung für das riesige Talent. Der Sieg öffnete Türen. Parallel zur Kanti darf das Ausnahmetalent an der Universität in Bern Musik studieren. Und das schon mit 17.Jahren. Viel früher als andere. Denn es hiess, dieser Mensch sei begabt.

«Ich höre Bilder und sehe Musik»

Und Coco Schwarz will mehr. «Ich wollte von der Musik leben. Ich wusste, dass dies schwierig werden und die Konkurrenz gross sein würde. Aber nichts ist unmöglich.» Das Klavierspielen wird diesem Menschen aus Wohlen nicht zu einem Leben in Reichtum verhelfen. Das ist auch gar nicht nötig. «Wenn ich tue, was ich liebe, dann ist es der richtige Weg.» Es folgt die Matur in Musik. Ein Bachelor- und zwei Masterabschlüsse an den Universitäten in Lausanne, Bern und Brüssel. Und die Zusammenarbeit mit verschiedensten Künstlern und Komponisten auf der ganzen Welt, Eigenkompositionen, Ensemble-Gründungen und Konzerte. Viele Konzerte. Über 1500 waren es in den letzten 20.Jahren. Die Laufbahn (siehe Box) ist vielschichtig, eindrücklich, besonders. Und das Schaffen ist experimentell. Beispielsweise will sich Coco Schwarz nicht nur durch die Musik ausdrücken. Auch die Videokunst im Zusammenspiel mit der Musik gehört zur Leidenschaft. «Ich höre Bilder und ich sehe Musik.» Das Gehirn eines Musikgenies funktioniert eben ein wenig anders als jenes eines «normalen» Menschen.

Das Talent, die Musik, der Drang nach Freiheit, diese Dinge haben diesen Menschen schon an viele Orte dieser Welt gespült. Auftritte in der weltberühmten Carnegie Hall in New York, der Suntory Hall in Tokyo oder dem Mariinski Theater in St. Petersburg sind Höhepunkte. Mehr geht nicht. International war Coco Schwarz oft in Asien unterwegs. Auch, weil die Klavierduopartnerin Yuka Munehisa aus Japan stammt. Im Land der aufgehenden Sonne gab der Musikmensch schon 500 Konzerte. Auch hier in der Region gab es die Pianokünste – bei denen nie gesungen wird – schon zu erleben. Im Kantiforum in Wohlen oder im Künstlerhaus in Boswil.

«Ich bin ich, ein Mensch»

Wenn man Coco Schwarz «googelt», findet man nicht viel Informationen. Das liegt daran, dass dieser Name erst zwei Jahre jung ist. Früher hiess diese Person Samuel Fried. Der Name steht auch so im Pass. Danach folgte Coco Samuel Fried. Bis schliesslich eine Sie daraus wurde: Coco Schwarz. «Ich habe meinen richtigen Namen abgelegt», erklärt der non-binäre Mensch. Wieso? «Der Name schubladisiert mich sofort.» Und Schubladen, die mag Coco Schwarz gar nicht. «Schon als Kind interessierte mich alles, was nicht stereotyp ist. Schon früh gefielen mir Dinge, die nicht der Norm entsprechen.» Ihr sozialisiertes Geschlecht, männlich, will sie nicht mehr verkörpern. «Ich bin ich. Ein Mensch. Die Entscheidung, non-binär zu sein, habe ich aufgrund dessen getroffen, was ich denke, fühle und bin.» Coco Schwarz möchte einfach sein. Ohne sozialisiertes Geschlecht. Grenzen sprengen, offen sein, ausprobieren, sensibilisieren, hinterfragen. Ob in der Musik oder als Mensch.

Der Tee drückt auf die Blase. Die Toilette ruft. Im Restaurant Marco Polo in Wohlen gibt es keine Toiletten für non-binäre Menschen. Geht Coco Schwarz auf die Herren- oder die Damentoilette? Ein lautes und fröhliches Lachen fliegt bei dieser Frage über den Tisch. «Wie ich gerade Lust habe.» Wenn sie kategorisiert werden muss, dann aber lieber als «sie» denn als «er».

Die pinke Jacke. Die sonnengelben Haare. Der ganze Look. Coco Schwarz fällt auf. In Städten wie Berlin fällt sie kaum auf. Aber in ländlichen Regionen, da drehen sich die Menschen um, wenn Coco Schwarz vorbeigeht. «Ich passe eben nicht in das gängige Muster.» So gibt es oft neugierige Blicke, doch selten Anfeindungen. «Ich möchte nicht provozieren, sondern einfach so sein, wie ich bin. Ich selbst versuche auch nicht zu urteilen. Ich versuche auch nicht, Schubladen zu machen. Ich glaube, unsere Welt wäre besser, wenn alle etwas offener wären.» Wohl richtig. Leben und leben lassen.

Tod der Schwester in Musik verarbeitet

Musik ist Wegbegleiter, Seelentröster, Verarbeitungsmaschine. Der Unfalltod der Schwester vor zweieinhalb Jahren wurde mit der Musik verarbeitet. Auch sie war in Wohlen zu Hause. «In vielen Songs wurden Erinnerungen mit ihr verarbeitet. Es hat beim Trauerprozess geholfen.» Im «Marco Polo» blickt sie aus dem Fenster und sagt: «Hier in Wohlen istsowieso alles anders.» An jedem Eck lauert eine Erinnerung. Die Gedankenschnipsel aus früheren Tagen sind grösstenteils positiv. «Wohlen ist Heimat, Wohlen hat mich geprägt, Wohlen ist für mich Ruhe, Natur und Rückzug.» Coco Schwarz ist hier aufgewachsen, trifft auf der Strasse immer wieder jemanden an, mit dem eine Verbindung besteht. Und hier ist sie nach wie vor Samuel Fried. Das lässt sich kaum vermeiden. Die Pianistin ist oft bei den Eltern in Wohlen. Weil hier der Heimathafen ist – und dort eben oft gute Musik entsteht.

Schwarz kreiert Kunst, die nicht im Mainstream zu Hause ist, sondern in einer Nische. Ist es zeitgenössische, klassische Musik? Ist es jazzige Improvisation? Oder sind es experimentelle Klavierklänge? «Meine Musik braucht keine Gebrauchsanleitung und Einschränkungen. Hauptsache, sie gefällt den Menschen.»

Herzensprojekt «Piano Prince»

In der Kunst- und Musikszene der grossen Städte, da ist dieser diversgeschlechtliche Mensch bekannt. Doch um in dieser Szene aufzufallen, braucht es eben etwas mehr als nur gute Musik. Deshalb startete Coco Schwarz ein Herzensprojekt: Piano Prince. Schon mit 17. Jahren kam erstmals die Idee dazu auf. Nach dem Corona-Lockdown verschanzte sich Coco Schwarz im Atelier im Kanton Bern und gab Piano Prince eine Identität – dazu gehören die pinke Jacke und der Haarschnitt – und natürlich die passende Musik. Mit dem neuesten Album «Memory Lane» will Coco Schwarz ihren Sehnsüchten nach einer offeneren Gesellschaft einen Klang geben. Die Herausforderungen, die eine queere Person im Alltag hat, lässt sie in die Musik einfliessen. «Ich hoffe, zu einem neuen, mehr akzeptierenden und weniger schubladisierenden Zusammenleben beizutragen.» Es sind weitere Songs und Alben von Piano Prince geplant in naher Zukunft. Samuel Fried, Coco Schwarz, Piano Prince – wie auch immer dieses musikalische Ausnahmetalent genannt wird, eines ist sicher: Dieser Mensch ist hochbegabt. Und die Musik ist wie Coco Schwarz selbst: anders, einzigartig, uneindeutig und irgendwie faszinierend.


Der musikalische Werdegan

Coco Schwarz heisst mit bürgerlichem Namen Samuel Fried und ist in Wohlen aufgewachsen. Das Musikstudium erfolgte in Bern, Lausanne und Brüssel bei Tomasz Herbut, Brigitte Meyer und Aleksandar Madzar. Zahlreiche Wettbewerbe hat die non-binäre Person aus Wohlen schon gewonnen, darunter den italienischen und schweizerischen Jugendmusik-Wettbewerb, den Europäischen Mendelssohn Wettbewerb, den «Prix Suisse» der Suisa-Stiftung oder den «Young Steinway Artist». 2009 gründete Coco Schwarz das Pianoduo «Arte Animi», 2010 das «ensemble proton bern» sowie 2013 «Fluoressenz» – und erhielt Stipendien vieler Stiftungen sowie Preise.

Coco Schwarz war als Solistin mit der Südwestdeutschen Philharmonie unterwegs, spielt auf dem modernen Flügel, dem Hammerflügel, dem Cembalo sowie dem Klavichord und beschäftigt sich mit verschiedenen elektronischen Tasteninstrumenten. Schwarz arbeitete mit Komponisten wie William Blank, Bettina Skrzypczak und Balz Trümpy zusammen und gab zudem Meisterkurse in Japan, wo sie ihre pianistische Erfahrung bereits an mehr als 70.Klavierlehrer weitergegeben hat. Parallel zur Musikerkarriere übt sich Coco Schwarz in Videokunstwerken sowie Kompositionen für Performance, Installation und Film. Auch als DJ machte sie schon Erfahrungen. Coco Schwarz verzichtet auf jegliche Kategorisierung sowohl in der Kunst als auch im Privaten. Weitere Informationen unter www.coco-schwarz.ch.